Wir befinden uns auf dem Weg in die Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh. Auch heute schweift der Blick über die vielen Müllberge am Straßenrand, vor allem direkt auf dem Grundstück der Bewohner. Die erste Nacht verbringen wir in einem Hostel relativ zentral gelegen. Bei einem Drink auf der Dachterrasse treffen wir auf Arun, der sich zu uns an den Tisch gesellt, um sein Englisch zu verbessern. In der Stadt wohnt er lediglich, um sich Geld zu verdienen. Tatsächlich kommt er aus einem Dorf, etwa 200km entfernt, die er zusammen mit seinem Kumpel jedesmal mit dem Roller zurücklegt, wenn er seine Familie besuchen möchte. Der lokale Bus sei ihm zu teuer (Der Preis liegt etwa bei umgerechnet 5€). Der Tourismus sei ein sehr lukratives Geschäft für die Einheimischen. Sein Wunsch wäre es irgendwann als Tourguide arbeiten zu können, das erklärt seine Bemühungen für ein besseres Englisch. Wir tauschen uns stundenlang über landestypische Besonderheiten wie traditionelle Feste, Gerichte und Glaubensrichtungen aus. Auf der Landkarte erklären wir ihm, wo wir ursprünglich herkommen, wo wir studierten und wo es uns die letzten Jahre zum Arbeiten hinverschlagen hat. Wir erzählen von unseren Jobs und Feiertagen in Deutschland. Wir zeigen ihm Videos von der Stimmung aus den Zelten vom Oktoberfest und Fotos von uns in Dirndl und Lederhose. Von der Größe des Festzeltes und der Größe einer Mass Bier ist er ganz besonders angetan.
Direkt vor dem Hotel befindet sich ein Markt der Einheimischen. Der beißende Geruch von rohem Fleisch und Fisch in der Mittagshitze benebelt unsere Sinne. Hier werden Hühnchen mit bloßen Händen frisch erledigt, ausgenommen und zerlegt. Mir wird es bereits nach wenigen Metern schwindelig. Den Blick starr nach vorne gerichtet, versuchen wir uns dem Anblick zu entziehen und konzentrieren uns eher darauf, Fehltritte auf dem schlammigen Untergrund möglichst zu vermeiden. Der Weg zur Wäscherei ist eigentlich gar nicht so lang, jeder weitere Schritt fühlt sich nur eben so verdammt schwer an. Am Nachmittag treffen wir auf ein Restaurant, das im Rahmen der „Friends“-Organisation Jugendlichen eine fundierte Kochausbildung ermöglicht. Die Preise für Gerichte liegen zwar deutlich über dem Niveau von uns bisher besuchter Lokale, doch wir finden das Konzept klasse und wollen uns davon überzeugen lassen. Zur Auswahl stehen eine Handvoll Gerichte, die unter den prüfenden Blicken der Ausbilder liebevoll zubereitet und auf dem Tisch serviert werden. Mit dem Gefühl eine gute Tat zu vollbringen, die den Schülern eine Chance auf etwas Besseres bietet, schmeckt es umso besser.

Nebenan befindet sich eine Nail-Bar mit identischem Konzept. Hier werden Jugendliche in kosmetischen Behandlungen wie Maniküre, Pediküre und Massagen geschult, damit sie die Dienstleistungen später als Service, vor allem in der Tourismusbranche, anbieten können. Die Schülerin hat heute ihren ersten Tag und wirkt leicht nervös. Ich bin ihre erste Kundin, Premiere also. Von der Trainerin sorgfältig angeleitet, legt sie vorsichtig los. Die Pediküre ist auf eine halbe Stunde angesetzt, dauert tatsächlich 1,5h. Das finde ich jedoch gar nicht schlimm. Ganz im Gegenteil. Während ich mein Spa-Erlebnis der besonderen Art genieße, sucht Daniel den nächstgelegenen Friseur auf. Dafür muss er nicht weit gehen. Ein paar Meter weiter nimmt er auf dem Stuhl eines Straßensalons Platz, der an eine größere Telefonzelle erinnert und Platz für zwei Kunden bietet. Wir beide sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Hoch soll sie leben
Für meinen 30sten gönnen wir uns zwei Nächte im schicken Ohana direkt am Flussufer. Neben den großen Zimmern ist der Infinity Pool auf der schönen Dachterrasse ein absolutes Highlight. Von hier aus haben wir einen tollen Blick auf den Mekong und den Preah Sisowath Quay, der für die anstehende Silvesterfeier festlich hergerichtet wird. Der Boulevard am Wasser ist bekannt für höherklassige Bars und Restaurants. In einer dieser hübschen Bars verbringen wir die Geburtstagsnacht mit Mousse-au-Chocolat zum Niederknien und Carrot-Cake, der zwar nicht im entferntesten an den amerikanischen erinnert, trotzdem fantastisch schmeckt. Die Livemusik im Hintergrund sorgt für stimmungsvolles Ambiente.
Den Tag über spazieren wir ein kleines Stück an der Mekong Promenade entlang, vorbei an dem beeindruckenden Königspalast, auf dessen Vorplatz sich unzählig viele Tauben sammeln. Die aufdringliche Art der TukTuk Fahrer macht uns jedoch schnell zu schaffen, sodass wir für den restlichen Tag Zuflucht auf der Dachterrasse suchen und auch finden. Bei herrlichem Sonnenschein und netten Gesprächen mit anderen Hotelgästen lassen wir den Tag mit leckeren Drinks im Pool ausklingen.

S21: Tuol-Sleng-Genozid-Museum
Nach dem herrlich entspannten Tag steht am nächsten Morgen das absolute Kontrastprogramm an. Wir lassen uns im TukTuk ins damalige S21, dem Foltergefängnis des Roten Khmer-Regimes, bringen. Dass dieser Ort furchterregend ist, war uns im Vorhinein bewusst. Nichtsdestotrotz stockt uns der Atem, sobald wir den Audio-Tourguide einschalten und die ersten Räume betreten. Im gleichen Moment läuft uns ein kalter Schauer über den Rücken. Es sind Räume einer ehemaligen Schule, die zu Zeiten der Roten Khmer zu einer Kammer des Schreckens umfunktioniert wurde.

Im Gebäude A befinden sich die Folter-Räume, in denen die „Verhörten“ gewaltsam an stählerne Bettrahmen gefesselt wurden und grausame Prügel erfahren mussten. Die Gefangenen waren Intellektuelle. Nicht nur Gelehrte, wie Ärzte oder Lehrer, sondern eigentlich jeder, der lesen und schreiben konnte, galt als intellektuell. Selbst das Tragen einer Brille deutete auf einen gewissen Bildungsstatus hin. Ziel von Paul Pot, Diktator und Anführer der Roten Khmer, war es, die gesamte Bevölkerung zu einem kommunistischen Agrarstaat „heranzuziehen“.

Das Gelände war streng nach außen abgeriegelt, sodass niemand erahnen konnte, welche Grausamkeiten hier vor sich gingen. Schreie der Gefangenen waren streng verboten und wurden äußerst hart bestraft. Kinder wurden den Müttern entrissen, Frauen verloren ihre Ehemänner, Menschen wurden auf kleinstem Raum wochenlang auf den Boden gekettet. Die vielen Eindrücke lassen einen erstarren. Wozu, zum Teufel, ist der Mensch in der Lage?! Wir sprechen hier von qualvollen Misshandlungen der gleichen Spezies, für die wir keine passenden Worte finden können. Es handelt sich sogar um die gleichen Landsmänner, die ihre Gefangenen respektlos, verachtend und mit irrsinnig grausamen Methoden kurz bis vor den Tod folterten.

Wer nicht hier schon einen qualvollen Tod erlitt, wurde nach seiner Gefangenschaft auf den Killing Fields hingerichtet. Um Patronen zu sparen, wurde hier auf Schüsse verzichtet. Stattdessen wurden die Menschen mit der Axt erschlagen oder mit stumpfen Gegenständen in das Massengrab gestoßen. An dem Baum, wo Köpfe von Babys und Kleinkindern zertrümmert wurden, sind noch heute Spuren erkennbar… Allein die Vorstellung von alledem, bloßes Kopfschütteln und die Frage nach dem Warum. Ein Ort, der die traurige Geschichte Kambodschas so lebendig erscheinen lässt. Nur um das Ganze nochmal ins Bewusstsein zu rufen: Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer liegt gerade einmal vier Jahrzehnte, quasi eine Generation, zurück! Diese schrecklichen Schandtaten sind niemals zu verzeihen und erinnern mindestens im gleichen Maße an die des NS-Regimes.
Bei eurer Beschreibung der Geschichte des Landes, ist man so gefesselt und bekommt Gänsehaut bei der Schilderung des Geschehens.
Ja, es gibt Geschehnisse, die sollte man nie vergessen.
Ich wünsche euch noch eine schöne Reise und viele nette Menschen, die ihr noch kennenlernen werdet.
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Dankeschön 💗
Das macht das Reisen eben aus. Neben all den schönen Begegnungen erfahren wir eben auch sehr intensive Momente wie die traurige Geschichte Kambodschas, die uns in diesem Maße gar nicht mal so bewusst war.
Es sind die Dinge, die niemand mehr ungeschehen machen kann, aber aus denen man lernen sollte, um sie in der Zukunft dringlichst zu vermeiden.
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