„Irgendwann zwischen 07:00 und 08:00 Uhr in der früh. Das Boot fährt dann, wenn es voll ist.“ Das ist die Antwort auf unsere Frage nach dem Abfahrtsplan. So läuft das hier. Zwischen fast ausschließlich Einheimischen nehmen wir auf der Holzbank in der Nussschale Platz, quer zur Fahrtrichtung sitzend, dicht aneinander gereiht. Ein Glück herrscht Windes Stille.
Neugierige Blicke streifen die unseren. Für noch nicht einmal einen Euro pro Person und weniger als eine halbe Stunde gelangen ihr im Public Boat direkt von der Gili Meno nach Bangsal. Dort treffen wir auf Putu, unseren Gastgeber für die nächsten Tage, der uns freundlicherweise direkt vom Fährterminal abholt. Für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er ist Balinese, wirkt aufgeschlossen und heißt uns vom ersten Moment an herzlich willkommen.
Auf dem Weg ins 30 km entfernte Senggigi, gibt uns Putu erste Einblicke in die Insel Lombok. Die Straße windet sich entlang der Küste und bietet grandiose Ausblicke auf paradiesische Strände mit angrenzender grüner Palmenlandschaft. Putu macht uns auf die besten aufmerksam und benennt sie beim Namen. Nipah Beach, Malimbu Beach, Setangi Beach. Dann zeigt er auf den dicht bewachsenen Wald, der sich zu unserer Linken befindet. Das sei der Monkey Forest – der Playground für unzählige Affen. Außerdem gebe es im Norden beeindruckende Wasserfälle. Und den Mount Rinjani, ein aktiver Vulkan, der innerhalb einer drei-tägigen Tour bestiegen werden kann. Oben angekommen hätte man großartige Blicke auf den Kratersee. Im Süden könnte man die noch intakte Unterwasserwelt der „Secret Gilis“ bewundern und sich in Kuta in die Wellen und das Partyleben stürzen. Wow, da hat Lombok ja einiges zu bieten. Da bleibt nur noch eine Frage: Wo fangen wir an?
Affentheater und Geistervilla
Noch am gleichen Nachmittag brausen wir los. Spätestens hier so auf dem Roller sind wir wieder voll und ganz in Südostasien angekommen. Das Fortbewegungsmittel Nummer eins. Der Wind streift uns durchs Gesicht, während der Wald uns wohltuenden Schatten bietet. Die Steigung nimmt allmählich zu bis wir letztendlich zu einem höher gelegenen Aussichtspunkt gelangen. Sobald wir den Roller abstellen, werden wir von Makaken umkreist. Auf der Suche nach etwas Essbarem observieren sie erst uns, dann zielsicher jedes Fach unseres Gefährts. Der eine auf freundliche Art und Weise, der andere auf Anhieb unsympathisch.
Und dann dieser, der doch tatsächlich auf dem Sitz unseres Rollers thront und soeben den handgemachten Festschmuck von Putus Frau aus Bananenblättern und Blüten zerpflückt. Bei dem Versuch ihn davon abzuhalten, erwidert das Biest mit Zähne fletschendem Ausdruck. Super Typ. In der Zwischenzeit sprechen uns zwei einheimische Mädels an, ob wir sie zu ihrem Lieblingsplatz zum Sonnenuntergang begleiten wollen. Die Villa Hantu, zu deutsch die Geistervilla. Klar, wenn wir den kleinen Mistkerl auf unserem Roller loswerden. Gerne.
Wir betreten einen verlassenen, unvollendeten Rohbau. Graffitikunst schmückt die Wände. Die Terrasse bietet aufgrund ihrer Anhöhe einen großartigen Blick auf das Meer. Am Horizont der glühende Feuerball, der jeden Moment unterzugehen droht und den Betonklotz in einen warmen Ton färbt. Dann verabschieden sich die zwei Schwestern. Das viele Reden mache ungeheuer durstig. Wie in dem Monat Ramadan üblich, haben sie seit Sonnenaufgang weder gegessen noch getrunken. Heute sei der letzte Tag des Fastens.
Indonesien gilt als das größte muslimische Land. Was heißt das konkret? Unzählige Moscheen. Die regelmäßigen Gebetsaufrufe aus den Lautsprechern (5x am Tag) können im ersten Moment etwas ungewöhnlich wirken. Außer man befindet sich zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe. Dann wirkt die ohrenbetäubende Lautstärke tatsächlich etwas verstörend. Bei allem Respekt.
Apropos Respekt: Schultern bedeckende Shirts und lange Hosen bei Temperaturen um die 35 Grad, das kann einen schon mal ins Schwitzen bringen. Aus kulturellen Hintergründen und respektvollem Umgang mit der Religion sollte nämlich auf angemessene Kleidung geachtet werden. Viele Frauen zeigen nur Gesicht und Hände. Die Kleidung sitzt locker und gepflegt. Selbst am Strand und im Wasser.
Die Frauen tragen zwar Kopftuch, aber sie verstecken sich keineswegs darunter. Alle sind wahnsinnig freundlich und aufgeschlossen, auch uns gegenüber. Sie lächeln und grüßen und begeistern uns mit ihrer Gastfreundschaft. Besonders nett sind die kurzen Small-Talks von Roller zu Roller während einer roten Ampelphase oder auch während der Fahrt, wenn sie interessiert fragen, wo wir herkommen.
Der Anteil der Islam-Anhänger ist jedoch von Inselstaat zu Inselstaat unterschiedlich. Hier auf Lombok zum Beispiel dominiert der Islam zu 85%, auf Bali dagegen zählt er mit nur etwa 6% zur Minderheit. Das erklärt, warum es hier auf Lombok spürbar gemächlicher zugeht im Vergleich zur Nachbarinsel. Obwohl es mittlerweile in touristischen Gegenden voll okay ist, im Badeanzug oder im Bikini am Strand zu liegen, wirkt der „Verhaltenskodex“ im muslimischen Staat für manch Reisenden anscheinend abschreckend. Für uns genau ein Grund mehr hier zu sein.
Der einzig wirkliche Nachteil in einem islamischen Land: Die Beschaffung von Bier. Gerade jetzt zu Zeiten des Ramadan.
Aber dazu später mehr.
Kuta Lombok – The Bittersweet Symphony
Am nächsten Morgen verschlägt es uns in den Süden. Genauer genommen nach Kuta Lombok. Unsere Erwartungen für heute: Türkisblaues Wasser und paradiesische Strände. Unterwegs stoßen wir auf das Sasak Sade Village. Ein historisches Dorf, welches Einblicke in die Tradition der Sasak – die Einheimischen auf Lombok – bietet. Der Guide, der uns am Eingang umgehend abfängt, führt uns durch die schmalen Gassen. Vorbei an hübschen kleinen Häuschen mit dickem Strohdach, das die brütende Hitze von draußen weitestgehend isoliert. Die Decken hängen tief. Räume ohne Tageslicht. Ein Leben wie in der Steinzeit. Gekocht wird über dem offenen Feuer auf dem Lehmboden im Inneren. Geschlafen wird nebenan auf Bambusliegen.
Am Eingang führen Frauen ihre Webkünste vor. Gelegentlich kassieren wir beleidigte Blicke, wenn wir uns im Vorbeigehen zwar für die traditionelle Webkunst interessieren und durchaus begeistern können, aber nichts kaufen. Aufgrund der unzähligen Verkaufsstände wirkt dieser Ort leider nicht mehr ganz so authentisch auf uns wie erhofft. Spätestens als der Guide am Ende der Tour die Hände offen hält und ein sattes Trinkgeld – nicht erbittet, sondern – regelrecht verlangt, sind wir von der stumpfen Darbietung doch etwas enttäuscht.
Weiter gehts zu unserem eigentlichen Ziel für heute: Die paradiesischen Surferstrände von Kuta Lombok. Sobald wir vom Roller absteigen, blicken wir tatsächlich auf türkisblaues Wasser und weißen Sandstrand von Tanjung Aan. Um das Panorama von weiter oben zu genießen, klettern wir auf den angrenzenden Hügel, den Bukit Merese. Tja, und was sollen wir sagen. Der Ausblick ist der Wahnsinn. Wir sitzen auf einem Felsvorsprung, betrachten die umliegenden Traumstrände, blicken hinauf zum Horizont des indischen Ozeans und vergessen in diesem Moment einfach alles um uns herum. Besonders die Zeit. Unsere Pläne waren groß. Von den fünf Stränden, die wir uns für heute vorgenommen hatten, werden wir wahrscheinlich keinen weiteren schaffen. Aber diese Aussicht ist es uns wert.
Fast schon zu schön, um wahr zu sein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ausgerechnet hier an diesem paradiesischen Fleckchen Erde holt uns die Tatsache der traurigen Realität wieder ein. Die Ebbe setzt ein. Das Wasser geht und unzählige Tüten und Verpackungen werden angeschwemmt.
Das allgegenwärtige Problem. Plastikmüll. Überall.
Was einem da alles durch den Kopf geht. Vieles! Es macht nicht nur traurig, sondern auch unglaublich wütend mit anzusehen, wie uns dieses Müllproblem im südostasiatischen Raum regelrecht verfolgt. Wir sind es fast schon Leid, dieses Thema immer wieder ansprechen zu müssen. Und belassen es damit bei den Bildern.
Inselhopping auf den „Secret Gilis“
Tag drei in Folge. Der Hintern glüht. Die langen Fahrten auf dem Roller sind wir einfach nicht gewohnt. Heute sind wir unterwegs zu einem Freund von Putu, der uns in seinem Boot in die Bucht vor der Stadt Sekotong im Südwesten Lomboks auf die sogenannten Secret Gilis bringen kann. Diese wären für ihre beeindruckende Unterwasserwelt besonders beliebt. Vorbei an satt grünen Reisfeldern, Papaya Verkaufsständen am Straßenrand und unter wolkenlosem blauen Himmel nähern wir uns schließlich dem Ort, den ich geschrieben auf einem Stückchen Papier, in den Händen halte. Jetzt gilt es Ausschau zu halten. Nach einem Schild mit unseren Namen. So die Abmachung. Gar nicht mal so einfach, bei all den eifrigen Tourenanbietern, die uns von der Straße winken wollen.
Erst bei der zweiten Durchfahrt werden wir auf ihn aufmerksam. Ein junger Mann mit einem Stück Styropor in der Hand, sichtlich bemüht uns zu stoppen. Die Aufschrift kaum erkenntlich. Bei näherem Hinsehen lässt sich ein D-a-n-i-e-l tatsächlich erahnen. Wir sind richtig. Die gesamte Familie ist vertreten. Sie sitzen auf einer Bambus Plattform, die Schutz vor der brennenden Mittagssonne bietet und scherzen miteinander. Die Kinder spielen mit Glasmurmeln im Staub. Hinter ihnen das leuchtend türkis-blaue Wasser. Sobald wir unser Schnorchelequipment beisammen haben, hüpfen wir ins Boot und steuern auf direktem Weg Gili Nanggu an. Diese Insel ist mini. So mini, dass wir sie innerhalb einer halben Stunde zu Fuß umrundet haben, inklusive einem kurzen Stopp, um die Drohne steigen zu lassen. Dafür ist hier doch einiges los. Am Schnorchelspot tummeln sich viele Besucher. Schulferien, sowohl bei uns in Deutschland als auch hier in Indonesien. Das erklärt einiges. Wir tauchen ab. Je weiter wir hinaus paddeln, desto schöner, bunter und vor allem ruhiger wird es um uns herum. Kleine Nemos in den Anemonen. Riesige Papageienfische in allen Farben. Einen großflächigen Korallenteppich. Bis zur Riffkante. Dann wird es schlagartig dunkel unter uns.
Schnorcheln macht bekanntlich hungrig. Daher legen wir auf der gegenüberliegenden Gili Sudak einen Lunch-Stopp ein. Keinen gewöhnlichen, sondern so einen, den man sich auf einer winzigen Insel klischeehaft vorstellen würde. Die schlichten Holztische stehen allesamt in erster Reihe zum Wasser angeordnet. Im Schatten der Palmenblätter. Hier nehmen wir Platz. Die Füße im Sand vergraben und eine junge Kokosnuss im Arm. Dann bekommen wir das indonesische Nationalgericht serviert. Nasi Goreng. Das klingt nicht nur romantisch, das war es tatsächlich.
Die letzte der drei Inseln ist die kleinste. Gili Kedis oder auch als Seestern-Insel bekannt. Von klein bis groß – so viele Seesterne wie hier im Sand liegen, haben wir im ganzen Leben noch nicht gesehen. Bei 152 haben wir aufgehört zu zählen. Wir sind überwältigt.
Um den Tag genauso perfekt ausklingen zu lassen wie er bisher verlief, möchten wir Putu und seine Frau mit einem leckeren Abendessen überraschen. Den frisch gegrillten Fisch können wir direkt auf der Straße in dem kleinen Örtchen organisieren. Die Beschaffung von Bier ist in einem muslimischen Land weitaus schwieriger, da es hier in den Supermärkten keinerlei Alkohol zu kaufen gibt. Daher wollen wir unser Glück in Restaurants der nächst größeren Stadt versuchen. Dann mal rein in Lomboks Hauptstadt, Mataram.
Alles hat ein Ende – auch der Monat Ramadan
Großer Moment aller muslimischen Gläubigen. Die Stimmung auf den Straßen könnte kaum besser sein. Die Menschen im festlichen Gewand. Die Moscheen bunt angeleuchtet. Und wir geraten mitten hinein. In das islamische Zentrum – Mataram. Auf der Suche nach Bier.
Einen Monat lang war es ihnen untersagt zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zu essen und zu trinken. Das hat heute Nacht ein Ende. Zum Fastenbrechen finden feierliche Paraden statt, Live Musik auf der Bühne wird performt und unzählige Verkaufsstände am Straßenrand aufgefahren, die überwiegend Süßigkeiten anbieten. Nicht ohne Grund wird der Feiertag Eid al-Fitr (arabisch) oder Idul Fitri (indonesisch) auch als Zuckerfest offiziell betitelt. Großes Schlemmen als Belohnung für ihren starken Willen und ihr striktes Durchhaltevermögen der letzten 30 Tage.
Eid mubarak, Freunde!
– Der Gruß zum Fastenbrechenfest.
Die Gretchenfrage: Wie hast du`s mit deiner Religion?
Im dritten Restaurant wird Daniel fündig und stolziert mit ausreichend Bier unterm Arm heraus. Ein voller Erfolg. Putu und seine Frau freuen sich riesig. Dann plaudern wir bis spät in die Nacht. Über Gott und die Welt. Über den Lauf der Dinge und den Verdienst der Mühen über all die Jahre. Putu erzählt uns seine Lebensgeschichte. Wie er mit 14 Jahren seinen Vater verlor und im gleichen Jahr mit seinem Bruder Bali verließ, um auf Lombok zu arbeiten. Sein erstes Geld verdiente er als Näher in einer Fabrik. Mehr wäre aus seinem Job später als Autowäscher herausgesprungen. Und tatsächlich hätte er es bis zum Empfangstresen des Autovermietungsunternehmens geschafft und dort die ersten Worte auf Englisch gelernt. Er machte seinen Führerschein und bot Fahrten an. Mit der Zeit wurde sein Englisch immer besser, sodass er irgendwann Dienste als Tourguide anbieten konnte, in denen er Touristen in einem Leihwagen quer über die Insel fuhr, um ihnen die Best Of`s von Lombok sowie seiner umliegenden Nachbarinseln aufzuzeigen. Bis heute.
Hier in Senggigi wurde er mit seiner Familie sesshaft. In einem eigenen Haus. Mutter und Tochter teilen sich eine 90cm Matratze auf dem Fliesenboden in einem der kleinsten Räume. Putu daneben. So könnten die anderen Zimmer auf der AirBnB Plattform zur Vermietung angeboten werden, um das Studium seines Sohnes zu finanzieren.
Er glaubt fest an das Karma: Tu’ Gutes, dann wird dir Gutes widerfahren. Ein Grundstein im Hinduismus – die mehrheitliche Religion der Balinesen. Kurzerhand lädt uns Putu zu Odalan ein. Ein Hindu Fest, an dem die Dorfgemeinschaft zusammen kommt, um den Tempel zu ehren. Und weil es schon am nächsten Tag stattfindet, gehen wir direkt in die Anprobe.